Flugrevue Dez 1972

TEST: GLASFLÜGEL 604 22m

Was den Bau von Segelflugzeugen ausschließlich aus GFK anbelangt, darf die Firma Glasflügel für sich in Anspruch nehmen, die größte Stückzahl auf diesem Produktionssektor In der ganzen Welt ausgeliefert zu haben. Überhaupt bezieht sich die Feststellung über die Produktion von GFK-Flugzeugen fast ausschließlich auf deutsche Firmen, die seit Beginn dieser Ära ein Monopol besitzen. In Schlattstall hat man sich Immer mit großem Einsatz und Mut bemüht, auf diesem Sektor des modernen Flugzeugserienbaus in der Spitzengruppe zu bleiben. Dies zeigen nicht nur die Erfolge der Flugzeuge dieser Firma als Sieger in vielen nationalen und internationalen Wettbewerben, sondern auch Rekordflüge, von denen gerade die der 604 mit Neubert am Knüppel Aufsehen erregten. Mit der Erfahrung von über 550 gebauten GFK-Leistungsflugzeugen fühlte man sich in Schlattstall stark genug, ein Hochleistungsflugzeug der absoluten Spitzenklasse zu bauen: die Glasflügel 604 oder, wie sie Segelflieger gleich getauft haben, den „Jumbo". Meine Meinung ist allerdings, daß zu diesem grazilen und außerordentlich eleganten Flugzeug der Name des freilich imponierenden Riesen absolut nicht paßt. Interessanterweise hat das Superflugzeug über der Steppe Kenias, also über der engsten Heimat des „Tembo", den Rekord über 300 km Dreieck auf die sagenhafte Marke von 153 km/h gebracht, nachdem derselbe Walter Neubert auf der 604/V1 in Marfa das 100 km Dreieck mit 155 km/h Schnitt geschafft hatte. Imponieren kann die 604 also ganz sicher, und zwar nicht nur aufgrund ihrer Größe, sondern wegen ihrer Leistungsfähigkeit. Deshalb ist es an der Zeit, dieses elegante Flugzeug in einem Testbericht vorzustellen. Ursprünglich war die 604 als Erprobungsträger für ein doppelsitziges Segelflugzeug großer Spannweite konzipiert, wurde dann aber für die Weltmeisterschaften in Marfa als Einsitzer vorbereitet. Natürlich wurde von diesem eine große Leistungsfähigkeit erwartet, aber auch die Flugeigenschaften wurden so gut, daß man sich aufgrund der großartigen Flugleistungen bei den Weltmeisterschaften in Marfa und der anschließenden Rekordflüge dazu entschloß, das Flugzeug als Einsitzer in eine kleine Serie von zunächst 10 Stück zu nehmen. Für die Serienflugzeuge wurden einige Verbesserungen vorgenommen und die Ausgeglichenheit der Ruderwirkung angestrebt. Diese Dinge sind bei der Aufnahme eines Serienbaus zwar ganz selbstverständlich, aber ich möchte es dennoch erwähnen, weil mir nur die V1, also der Prototyp, zur Verfügung stand, bei dem nicht alle Verbesserungen installiert waren. Außerdem hatte der Supervogel schon über 550 Flugstunden im harten Wettbewerbsbetrieb hinter sich, so daß trotz guten Zustands einiges auszubessern war. Aus eben diesem Grunde konnte ich das Flugzeug leider erst im Herbst fliegen, aber es war ein Tag mit Rückseitenwetter, als wir die Maschine vorbereiteten. Wenn man die Libelle-Serien kennt und den Kestrel geflogen hat, kommen im Cockpit der 604 keine Schwierigkeiten auf. Das Instrumentarium mit den vielen Hebeln, Zügen und Knöpfen ist nämlich reichhaltiger, als man es üblicherweise in anderen Flugzeugen der gleichen Klasse antrifft, aber es ist dennoch aufgeräumt. Wer sich Jedoch zum ersten Male in einem solchen Supervogel niederläßt, um ihn zu bewegen, der sollte unbedingt Cockpittraining machen. Nun, mit Libellen aller Art und Kestrel gut vertraut, fühlte ich mich im Cockpit sofort heimisch. Allerdings ging ich alle Positionen wie mit einer Checkliste noch einmal durch und ich werde — vom Instrumentenbrett mit seiner einfachen Ausrüstung abgesehen — die Punkte noch notieren, denn ihre Reichhaltigkeit zeigt deutlich, daß ein Wölbklappenflugzeug der absoluten Spitzenklasse AufmQrksamkeit und technisches Verständnis von seinem Piloten fordert, sonst ist das verfügbare Repertoire nicht auszuschöpfen, d. h. die Leistungsfähigkeit weder zu zügeln noch voll herauszufliegen. Die Sitzposition ist excellent und halbliegend, wobei die einzelnen aufblasbaren Kissen auch die Oberschenkel so unterstützen, daß ein besserer Komfort kaum erreicht werden kann. Allerdings — und das habe ich schon beim Kestrel bemerkt -dürfte genügend Platz in Höhe der Seitenruderpedale vorhanden sein, um die Position der Fußspitzen etwas nach außen zu verlegen, so daß die Tendenz zur O-Beinhaltung wegfällt. Wie beim Kestrel ist in der Anordnung der Bedienhebel eine Verbesserung kaum mehr möglich. Alles liegt hand- und funktionsgerecht, so daß nach einigem Training Verwechslungen kaum zu erwarten sind. Der hintere Teil der Haube, der durch zwei Schnellverschlüsse am Rahmen gehalten wird, ist voll abnehmbar. Da ich mit meinen Vorbereitungen fertig war, rollte auf mein Zeichen der Zug an - geführt von einer starken Robin 300/180 R. Sie zog das schwere Superschiff mit über 3 m/s nach oben. Nach dem Anrollen hatte ich die Wölbklappen auf Position +1 gestellt und konnte eine genügende Wirkung von Seitenruder und Querruder registrieren. Mit etwa 100 km/h im Schlepp liegt die 604 sehr stabil, wozu die starke Durchbiegung der Flügel nicht unwesentlich beitragen dürfte. Glücklicherweise ließ es die Wetterlage mit zonenweise nur 4/8 Bedeckung zu, mich für meine ersten Programmpunkte bis auf 2700 m über Platz schleppen zu lassen. Die Sicht zur Schleppmaschine war gut und nach allen Seiten ausgezeichnet, nur muß man sich mit dem Haubenrahmen des eingestrakten Vorderteils abfinden, der auch bei vielen Leistungstypen der Standardklasse üblich ist, um die Strömung auch des festen, vorderen Haubenteils noch ungestört zu halten. Nach dem Ausklinken: Fahrwerk ein mit Leichtigkeit. Die Trimmung hat die gleiche Konstruktion wie beim Kestrel; ich hatte sie schon dort mit der besten Note ausgezeichnet, die man überhaupt vergeben kann. Sie wirkt auch bei der 604 hervorragend: Ein Knopfdruck am Knüppel genügt, oder wenn man eine Stellung vorwählen will, so drückt man den Knopf und verstellt die mitlaufende Zahnscheibe des Systems an einem kleinen Hebel in die gewünschte Position und gibt den Knopf wieder frei. Sowohl optisch als auch durch Betasten unterstützt die Stellung des kleinen Hebels die Kontrolle der augenblicklichen Trimmstellung. Zunächst flog ich wohlausgetrimmt in einem riesenhaften blauen Loch und in ruhiger Luft. Meine Flächenbelastung bei diesem Flug betrug etwa 33 kp/m2. Die Basis der riesigen Cumuli lag um 1300 m tiefer. So hatte ich genügend Zeit und Platz für mein Programm und machte mich zur Erinnerung an die Kontrolle aller gut bezeichneten Hebel: An der linken Bordwand übereinander in handgerechter Position oben befindet sich der Bremsklappenhebel, der etwas viel Kraft erfordert und deshalb mit dem darunter in abgekröpfter Form liegenden WöibklappenhebGi nicht verwechselt werden kann. Dieser hat — wie beim Kestrel 6 — Positionen: von vorn —2, —1, 0, +1 und zwei Stellungen um +2. Alle Positionen sind durch Rasten stark genug gesichert, aber mit Federdruck in ihrer Gängigkeit nur soweit gedämpft, daß eine stufenweise, gleitende Versteilung, wie sie beim Delphinstil gebrauchtwird, angenehmer nicht mehr eingestellt werden kann. Vor dem Wölbklappenhebel liegt der Auslösegriff für den Bremsschirm. In der Mitte unter dem Instrumentenbrett befindet sich der zweirastige Zughebel für die Landestellung der inneren Wölbklappen, daneben der Zugknopf für die Regulierung der sehr wirksamen Belüftung, dessen Betätigung schon während des Schlepps nötig war. Bei den geringen Temperaturen mußte ich mir ab und zu mit Feinregulierung die Haube freiblasen; das funktionierte ausgezeichnet. Rechts davon ist unverwechselbar der Zug für das Abwerfen des Bremsschirms, darunter der Zug für die Seilkupplung, der Bremshebel für das Rad und rechts der Zug für die Pedalverstellung. An der rechten Bordwand ist der Griff für das Fahrwerk angeordnet, das sich leicht fahren und einrasten läßt. Als besonderen Komfort soll noch die in der Luft und zu jeder Zeit verstellbare Rückenlehne erwähnt werden, die mit einem Ringzug in ihrer Schräglage leicht verändert werden kann. Bei langen Flügen wird mancher gern davon Gebrauch machen, die Sitzposition zu verändern. Mir ist keine Flugzeugfirma auf unserem Globus bekannt, die sich soviel Gedanken und Mühe gemacht hat, um die physische Leistungsfähigkeit des Piloten zu erhalten. Keine Maßnahme wurde ausgelassen: anatomisch hervorragende Sitzposition in Halbliegestellung, regulierbare Pedal-und Rückenlehnenverstellung auch im Fluge, mittels Blasebällen individuell aufblasbare Auflagen für die Oberschenkel, erstklassige Belüftung mit Feinregulierung und handgerechte Position aller Hebel und Bedienorgane. Auf jeden Fall ist besonders in einem Hochleistungssegelflugzeug mit Wölbklappen die Ausgangsposition für den Piloten in seinem „Gehäuse" außerordentlich wichtig, denn im Leistungssegelflug hat man in seinem Arbeitsraum 5 bis 8 Stunden auszuhalten, und zwar topfit! Wie oft entscheiden da die letzten Stunden, wenn durch Ermüdung die Entschlußfreude und Entscheidungskraft nachlassen, nur weil unerfreuliche und spürbare Sitzposition, mangelnde Belüftung oder mühevolle Betätigung ungünstig plazierter Hebel einen Teil der Leistungsfähigkeit des Piloten absorbieren. Die physischen Belastungen beim echten Leistungssegelflug sind ohnehin hoch genug. Beim Geradeausflug in ruhiger Luft, Wölbklappenstellung +1, erflog ich die Vmin mit knapp 65 km/h Anzeige; mit Stellung +2 lag sie bei 60 km/h, aber auch mit Nullstellung Ist sia bei 68 km/h noch gering, und dabei liegt die Maschine noch ruhig. Knüppel ganz hinten beginnt dann ein Schwanken um die Längsachse, das aber mit dem Seitenruder so ausgeglichen werden kann, bis fast ein Sackflug beginnt. Ein Schütteln Im Leitwerk ist allerdings nicht wahrnehmbar. Anschließend versuchte ich, das Trudeln durch stärkeres Hochziehen mit anschließendem, kräftigem Seitenruderausschlag bei Abreißgeschwindigkeit einzuleiten. Dabei kam ein schwaches Schütteln vom Leitwerk als Warnung an, und das Seitenruder saugte sich beim Eindrehen und Tauchen in die erste Trudelbewegung fest. Zwar ließ sich die große Maschine nach einer halben Umdrehung durch Neutralstellung des Knüppels und volles Gegenseitensteuer sofort wieder herausnehmen, aber da muß man schon fast mit aller Kraft in das Pedal treten. Dabei sei allerdings festgehalten, daß die Seitenruderwirksamkeit besser Ist, als man — getäuscht durch die aufzuwendende Kraft — geneigt ist anzunehmen. Nun ist auch der Slip nicht besonders wirksam und nicht nur mit geringem Hängewinkel, sondern auch nicht lange durchführbar, denn das große Flugzeug neigt dazu, die Schnauze trotz hinterer Knüppelstellung immer tiefer zu nehmen, so daß der Slip durch Fahrtaufnahme schließlich beendet wird. Auch hier saugt sich das Seitenruder fest. Auf bessere Eigenschaften in dieser Beziehung kann verzichtet werden, wenn man sie als Landehilfen betrachtet. Aber gerade hier ist das technische Repertoire so umfangreich, daß Landungen keine Schwierigkeiten sein dürften. Wenn man die Wirksamkeit der Ruder beurteilen will, so kommt man zu einer Durchschnittsnote, wobei die außerordentliche Größe des Flugzeugs zunächst nicht besonders berücksichtigt wird. So ist die Steuerbarkeit samt Trimmfähigkeit um die Querachse ausgezeichnet und angenehm; diejenige um die Längsachse ist noch erstaunlich gut, wenn man bedenkt, daß es sich um ein Flugzeug mit 22 m Spannweite handelt. Soweit ist auch der Handkraftverlauf befriedigend. Anders das Seitenruder: Hier dürfte nicht nur die Wirkung besser sein, sondern auch der nötige Kraftaufwand ist etwas zu groß. Insofern ist also die Harmonie nicht ganz erreicht worden, aber ein gewisses Opfer muß ja immer gebracht werden, wenn man Hochleistungsflugzeuge bauen will, und diese sind nun einmal nichts für Piloten, die auch mit einem konventionellen Standardsegler zufrieden sind und sich nicht allzu sehr engagieren wollen. Ich möchte jedoch anfügen, daß bei den Serienmaschinen eine bessere Ausgeglichenheit der Ruderwirkung erzielt worden ist, die befriedigen soll. Beim Kreisflug liegt die 604 stabil; sie neigt aber — wie auch andere Flugzeuge sehr großer Spannweiten — etwas dazu, eine durch die Steifheit der Querruder gegen die Flügeldurchbiegung wirkende Federkraft zu erzeugen, wodurch eine rückstellende Wirkung erzeugt wird. Von negativem Wendemoment keine Spur. Das normale Einleiten in den Kreisflug ist — entsprechend der größeren Trägheit — wie bei allen Hochleistungsflugzeugen dieser Größenordnung rechtzeitig zu beginnen, was bei der zusätzlichen Arbeit durch die Zurücknahme der Wölbklappenstellung und rechtzeitiger Fahrtverminderung besonders aus dem Schnellflug ein taktisch kluges Verhalten und ein gewisses Vorausahnen erfordert. Ein solches Superschiff verlangt einen aufmerksamen, arbeitswilligen, entschlußfreudigen und nimmermüden Piloten, soll seine Leistungsfähigkeit voll zur Entfaltung gebracht werden. Die Rollwendigkeit ist für ein Flugzeug dieser Größe durchaus tragbar und kann kaum noch verbessert werden. Von 45° zu 45° konnte ich im Schnitt 5,2 Sekunden messen mit einer Anzeige von 95 km/h. Nicht schlecht ist auch das Ein- und Ausleiten bei festem Knüppel nur mit dem Seltenruder, wobei je 3 sec benötigt wurden, ohne daß bemerkenswerte Geschwindigkeitsänderungen auftraten. Bevor ich mit meinem Programm der Basishöhe zu nahe kam, machte Ich noch Messungen mit allen Landehilfen, ausgenommen Bremsschirm. Also Fahrwerk aus, Landeklappenhebel gezogen, wobei die inneren Wölbklappen zusätzlich um 23° auf 35° ausgeschlagen werden, wenn der Wölbklappenhebel auf +2 gerastet ist. In dieser Stellung ist die Abreißgeschwindigkeit gering, entsprechend läßt sich also auch die Anschwebegeschwindigkeit zur Landung niedrig halten. Leider gehen die Bremsklappen etwas schwer, lassen sich aber regulieren und bringen bei äußerster Stellung etwa 5-6 m/sec Sinken bei 110 km/h. Dieser Wert ist durchschnittlich und dürfte auf die nur auf der Flügeloberseite montierten Bremsklappen zurückzuführen sein. Die Abreißgeschwindigkeit in dieser Konfiguration beträgt nur 60 km/h, und das Verhalten ist ebenso harmlos wie bei eingefahrenem Fahrwerk und ohne Bremsklappen. Inzwischen hatte sich mein kleines Kniebrett mit Daten gefüllt, aber ich war mit dem stolzen Schiff nun erst richtig warm, fuhr den ganzen Klapperatismus wieder ein und verholte mich im Schnellflug in Richtung auf einen vielversprechenden, großen Cumulusberg mit scharfer, schwarzer Untergrenze. Es wurde aber auch Zeit, wieder Höhe zu tanken, denn die Einstrahlung war nicht mehr sommerlich. Wie in allen Lagen zeigte sich die Flügeldurchbiegung nach oben auch im Schnellflug sehr deutlich, und dies trotz der nun negativ ausgeschlagenen Wölbklappen über die ganze Spannweite von immerhin -8° bei Stellung -2. Bis 200 km/h war bei der Beschleunigung keine Nachhilfe durch Drücken am Knüppel erforderlich. Bis 250 km/h mußte ich aber doch deutlich nachhelfen, was dann auch durch "sich steigerndes Fahrtgeräusch begleitet wurde. Die Flächenbelastung sollte bei solch penetrantem Schnellflug eben doch bei 40 kp/m2 liegen, was bei entsprechend starken Wetterlagen sicher nötig wird. In flachem Winkel ließ ich den großen Vogel nach oben ausschießen und war auch schon am Ziel: Mit rechtzeitigem Eindrehen hatte ich auf Anhieb meinen Bart, und es zeigte sich natürlich, daß man sich beim Zentrieren schwerer tut als mit einem kleinen, zahmen Standardsegler. Aber mit nötigem Eifer, Einfühlungsvermögen und Vorausdenken ging es dann ganz gut. Dabei hilft viel die exzellente Trimmung. Man müßte sich viel häufiger mit einem solchen Flugzeug beschäftigen können und dafür gern die Mehrarbeit beisteuern. Die schon etwas herbstliche Wetterlage war durchaus dazu angetan, sich auch unter schwierigen Bedingungen mit zum Teil sehr schwachen Aufwindfeldern mit der 604 zu beschäftigen. Im Kreisflug bei ruhiger Thermik und 30° Schräglage lag die Maschine bei Wölbklappenstellung +2 und 75 km/h stabil; bei 45° brauchte ich nur 85 km/h, und bei den gleichen ruhigen Bedingungen, aber 60°Schräglage und Wölbklappenstellung + 1 verlangte die Maschine 125 km/h. Dies sind immerhin Werte, die mit einem Standardsegler konkurrieren können, wobei allerdings beachtet werden muß, daß ich mit der relativ geringen Flächenbelastung von 33 kp/m2 flog. Etwa eine Stunde später reichte die Aufheizung durch die Sonneneinstrahlung nicht mehr aus, und von da ab war ich auf die äußerst ruppige Thermik angewiesen, die durch viele großflächige Feuer auf abgeernteten Getreidefeldern erzeugt wurde. Diese Barte waren wie geschaffen, um sich auf einem solchen Flugzeug einzufliegen, denn es war ein hartes Kämpfen mit mindestens 45° Schräglage, um überhaupt im Bart zu bleiben. Hierbei lagen natürlich die nötigen Geschwindigkeiten beim Kreisen deutlich höher als in der ruhigen Thermik, aber auch das ist alltäglich. In diesen zerfetzten und rauchigen Zick-Zack-Schläu-chen zeigte die 604, daß man sie auch scharf herannehmen kann: Sie erwies sich in dieser Lage wendiger, als ich selbst nach den ersten Stunden für möglich gehalten hätte, und sie bescherte mir dadurch nicht nur gut eine Stunde weitere Flugzeit, sondern bewies dabei, daß man auch in 150 m über Grund noch keine Sorgen haben muß. In der Nähe des Platzes reizte mich noch eine Qualmwolke zum Aushalten, bis auch die letzten Rauchfahnen eine horizontale, laminare Schicht bildeten und der Rauch mir schließlich die Augen beizte. Mit 120 km/h flog ich zurück zum Platz, fuhr das Fahrwerk aus, nahm langsam die Wölbklappen auf +2 und zog bei 110 km/h den Landeklappenhebel. Man kann natürlich auch wesentlich langsamer anfliegen. Bremsklappen voll draußen setzte sich der große Vogel butterweich auf den Rasen von Saulgau, wo die Firma Glasflügel eine moderne, große Halle für Endmontage erstellt hat. Mit zusätzlich ausgebrachtem Bremsschirm ist natürlich ein sehr steiler Anflug möglich, zumal die Größe des Bänderschirms von 1,3 m Durchmesser jetzt auf 1,6 m vergrößert wurde. Ich halte es für sehr wichtig, daß Flugzeuge dieser Größe und Leistungsklasse zusätzlich mit einem solchen abwerfbaren Gerät ausgerüstet werden. — Die Radbremse ist auch bei trockenem Grasboden nur mittelmäßig, was mich nicht wunderte, denn die kinetische Energie eines solchen Schiffes ist auch bei der Landung noch groß: Ich setzte immerhin mit einem Landegewicht von 540 kg auf, und da ist das eine Rad, das zur Verfügung steht, einfach überfordert. Aber hier läßt sich ohne großen Aufwand an Gewicht und Raum kaum etwas ändern. Auf jeden Fall zeigt sich, daß bei Flugzeugen dieser Leistungsklasse auch der Pilot mindestens die gleiche Klasse haben soll — was wohl ein logischer Schluß ist. Die Landung selbst ist dank der guten Eigenschaften und zahlreichen Landehilfen einfach. Was ist nun vom Entwicklungsteam der Firma Glasflügel getan worden, um in die 604 eine solche Leistungsfähigkeit hineinzukonstruieren und ihr die gutmütigen Flugeigenschaften mitzugeben? Diese beiden Charaktermerkmale bei diesem hohen Leistungsniveau noch befriedigend zu kombinieren, ist nämlich nicht nur schwierig, sondern auch technisch aufwendig und deshalb leider kostspielig. Um zu einem Hochleistungsflugzeug zu kommen, läßt sich eben nicht nur mit allen Mitteln die Leistung steigern, ohne Rücksicht auf eine ganze Anzahl von anderen Forderungen, z. B. Flugeigenschaften, Wartung, Witterungsbeständigkeit, Rüstbarkeit, Eignung zum Serienbau, Kaufpreis, um einige zu nennen. Aber ganz ohne Opfer zu bringen, geht es leider nicht. So entschloß man sich, einen dreiteiligen Flügel zu bauen, von dem nur das Mittelstück völlig neu konstruiert werden mußte, während dafür die auf 7,25 m verkürzten und modifizierten Flügel des bewährten Kestrel als Außenteile angesetzt werden konnten. Das gesamte Wölbklappensystem, das wie beim Kestrel über die gesamte Spannweite reicht, nun aber über insgesamt 6 Klappenteile verfügt, wird über eine Oberlagerungskinematik so gesteuert, daß man von einem integrierten Wölbklappen-Querruder-Landeklappen-System hoher Entwicklungsstufe (Flaperon) sprechen kann. Durch das relativ dicke Profil FX-67-K-170 von Wortmann war es möglich, dem 22 m-Flügel einen innenliegenden Antrieb für das gesamte sechsteilige Klappensystem zu geben. Die Überlagerung der Querruder zu den Wölbklappen des Außenflügels (auch als innere Querruder zu bezeichnen) beträgt beim Ausschlag der Querruder 2:1. Ein Einfluß auf die Wölbklappen des Innenflügels wird hierbei nicht erzeugt, jedoch wird bei der Betätigung des Wölbklappenhebels das gesamte Klappen-Querruder-System beeinflußt, und zwar werden folgende Ausschläge durch die angezeigten Rastenstellungen erzielt, ohne daß die beiden äußeren Querruder etwas von ihrem vollen Ausschlagbereich einbüßen: WK-Raste —2 bringt Anstellung innere WK -8°, mittlere WK und Querruder -8°; WK-Raste -1 bringt Anstellung innere WK -4°, mittlere WK und Querruder -4°; WK-Raste 0 bringt Anstellung innere WK 0°, mittlere WK und Querruder 0°; WK-Raste +1 bringt Anstellung innere WK +6°, mittlere WK und Querruder +5°; WK-Raste +2 bringt Anstellung innere WK +12°, mittlere WK und Querruder +10°; WK-Raste +2 und Landeklappenstellung bringt Anstellung innere WK +35°, mittlere WK und Querruder +10°. Bei positiven Anstellungen tritt also gleichzeitig eine Schränkung auf, die der erhöhten Sicherheit im Langsamflug dient und zusätzlich die Torsionskräfte verringert. Wird der Landeklappenhebel gezogen, so wird die innere Wölbklappe also zusätzlich um 23° auf 35° ausgeschlagen, sofern die Wölbklappenstellung +2 beträgt. Bei allen anderen Wölbklappenstellungen, aber gezogenem Landeklappenhebel ist die Differenz zwischen inneren und mittleren Wölbklappen nur etwa 20°. Die Querruder und mittleren Wölbklappen werden durch die Betätigung des Landeklappenhebels in keiner Weise beeinflußt. Ebenso bleibt bei allen Ausschlägen und Positionen von Wölbklappen und Landeklappen die Differenzierung der Querruder untereinander (links und rechts) unberührt. Natürlich war es erforderlich, einem so aufwendigen Flugzeug wenigstens mechanisch einfache Montagemöglichkeiten mitzugeben, denn es müssen große Gewichte für einige Teile in Kauf genommen werden. So muß der 160 kg schwere Mittelflügel von oben eingesetzt und von vorn nach hinten in die Schwenklager des Rumpfes eingeschoben werden. Wenn die Nase abgelassen ist, werden die beiden vorderen Querbolzen gesteckt und mit Fokkernadeln gesichert. Dieses System ist vom Montieren des Höhenleitwerks verschiedener früherer Typen bekannt. Je Flügelseite werden dann die Querruder und mittleren Wölbklappen angeschlossen und durch Kugelsperrbolzen gesichert, während beim Einschieben die inneren Wölbklappen und die Bremsklappen automatisch gekuppelt werden. Die Außenflügel werden mit ihrer Zunge in den Gabelteil des Mittelflügels eingesetzt, der Kugelschnappverschluß für das äußere Querruder angeschlossen und dann voll eingeschoben. Der Flügelhaltebolzen wird von unten eingesteckt, bis der federbelastete Sicherungsstift einschnappt. Das gedämpfte, großspannweitige Höhenleitwerk wird wie beim Kestrel auf zwei Bolzen aufgeschoben und mit einem rastbaren Sicherungsstift fixiert. Alle diese Montagevorgänge sind mechanisch einfach, und die reinen Kupplungsvorgänge bringen keine Zeitprobleme. Anders ist es jedoch mit den Gewichten, wobei der Rumpf mit seinen etwa 140 kg und das Leitwerk mit nur 9 kg keine Rolle spielen, wohl aber der Flügel und vor allem das Mittelstück. Deshalb wird die Supermaschine nur in Verbindung mit einem Spezialanhänger geliefert, der über eine entsprechende Montagevorrichtung verfügt, so daß der Flügel aus der Transportlage (über dem Rumpf) gedreht und in die Montagestellung geschwenkt, abgesetzt und gekippt werden kann. Leichter ist es schon mit den je 60 kg schweren Außenflügeln; aber auch für ihre Montage sind Vorrichtungen vorgesehen, die zum Transportwagen gehören. Natürlich sollten im Normalfall 3-4 Mann zur Verfügung stehen, wenn ein so schweres und wertvolles Flugzeug auf- oder abgebaut wird, denn immerhin wiegen der gesamte Flügel 280 kg und der komplette Rumpf etwa 150 kg. Es muß mit einer Montagezeit von etwa 20 Minuten gerechnet werden, bis der „Superflieger", der als Rüstgewicht um 450 kg auf die Waage bringt, startklar auf seinen beiden Rädern steht. Walter Neubert hat mit einem eingefuchsten Mann allerdings die Zeit schon auf 10 Minuten gedrückt — zu zweit ist das eine sportliche Leistung! Da der aufwendige Anhänger auch nicht gerade ein Leichtgewicht sein kann, beträgt die gesamte Anhängelast mit voller Ausrüstung dann um eine Tonne. Im Aufbau der Zelle mußte nicht von den beim Kestrel erfolgreich angewendeten Methoden abgewichen werden. So besitzt der Flügel einen Holm aus zwei Gurten mit parallelen Glasfasern und zwei GFK-armierten Balsastegen nach dem HH-Verfahren. Ein Hilfssteg trägt die Wölbklappen und Querruder. Während der gesamte Flügel und die Höhenflosse als GFK-Hartschaum-Sandwich-Schale die Negativ-Formen verlassen, ist die Seitenflosse unge-stützt, besitzt aber zwei Stege. Alle Ruder und Klappen sind reine GFK-Schalen ohne Stützstoff. Ebenso ist die Rumpfschale, die aus Ober- und Unterteil zusammengeklebt wird, un-gestützt. Im Bereich der starken Einschnürung sind jedoch vier Hohlprofilringe gegen Beulkräfte eingeharzt. In der Zone der Beschläge für die Flügel-Rumpfverbindung befinden sich mehrere Stege, Kastenprofile und der eingeharzte Fahrwerkschacht, die zusammen mit der Rumpfschale einen festen Verband zur Oberleitung der Kräfte aus dem Flügel bilden. Alle Teile werden in Negativ-Formmulden hergestellt, und außerdem besitzen alle Klappen und RuderTeilgewichtsausgleich und den bewährten innenliegenden Antrieb in Verbindung mit Stoßstangen. Beider großen Spannweite ist eine reibungsarme Lagerung besonders wichtig, so daß nur Rollenböcke und Schwingen in Frage kamen. Die aus GFK gefertigten Bremsklappen großer Spannweite sind nur an der Flügeloberseite installiert, verfügen aber über gefederte Deckplatten, die genau in die Kontur passen. Wie im Kestrel reicht der Platz auch hier für reichhaltige, zusätzliche Ausrüstungen, aber nicht im Oberfluß. Batterie und Sauerstoffanlage mit 4-Liter-flasche und Fernsteuerung für die Lunge sind unterzubringen. Die Antenne für ein Funkgerät ist, wie üblich, in der Seitenflosse montiert. Der im Mittelflügel liegende Tank für Wasserballast kann 100 Liter aufnehmen, die beim Abwurf durch den Fahrwerkkasten geleitet werden. Zur besseren Wartung ist das Instrumentenbrett leicht herausnehmbar. Nicht nur die Ergebnisse meiner Testflüge, sondern auch die Beschreibung des Aufbaus und des Bauaufwands lassen deutlich erkennen, daß es sich bei der Glasflügel 604 um ein Hochleistungssegelflugzeug der absoluten Spitzenklasse handelt! Das Ausrufungszeichen hinter diese Feststellung betont eindeutig die Tatsache, daß diese Maschine zwei Geschwindigkeitsweltrekorde auf eine sagenhafte Marke gesetzt hat. Die Firma Glasflügel Ing. Eugen Hänle in Schlattstall hat dem außergewöhnlichen Flugzeug nicht nur alle eigene Erfahrung mitgegeben, sondern auch so viel an modernem, technischem Repertoire hineinkonstruiert, wie man unter den Bedingungen einer begrenzten Serie kostenmäßig noch verkraften kann. Andererseits wurde damit aber erreicht, daß diese „Superorchidee" noch geradezu gutmütige und auch genügend ausgeglichene Flugeigenschaften mitbekommen hat. Daß ein solches Hochleistungsflugzeug dann von einem Leistungspiloten mehr fordert als ein „kleiner Vogel", ist völlig normal. Leider ist mit einem solchen technischen Aufwand nicht nur eine außerordentliche Leistungsfähigkeit verbunden, sondern auch ein entsprechender Kaufpreis. Ohne MwSt. würde der stolze Vogel DM 49 000,- kosten, aber es kommt obligatorisch der Spezialtransportanhänger mit allen Montagehilfen für DM 12 000,- hinzu, ohne den die Maschine nicht geliefert wird.